Redebeitrag FU*K am 16.03.24 zu reproduktiver Gerechtigkeit

Am Samstag, den 16.03.2024 fand in Kassel wieder das TCLG statt. Um dies nicht unkommentiert stehen zu lassen und für reproduktive Gerechtigkeit zu kämpfen, haben wir am Nachmittag eine Gegenkundgebung am Rathausvorplatz unter dem Motto „Wir machen euch die Hölle heiß! feministisch, antifaschistisch für reproduktive Gerechtigkeit“ organisiert. Wir haben verschiedene Redebeiträge von dem Bündnis für Sexuelle Selbstbestimmung Göttingen, ROSA Kassel, Fantasma, dem LSBTIQ*-Netzwerk Nordhessen, MeeTIN*up, Oh Mann, ey! und uns gehört. Einige davon könnt ihr hier nachlesen!

Hallo,

wir sind von „feminism unlimited* Kassel“ und freuen uns, euch hier heute zu sehen. Denn das jährliche Treffen christlicher Lebensrechtsgruppen (TCLG), das heute erneut in Kassel stattfindet, fordert unseren Gegenwind. Wenn sich Fundamentalist*innen zusammensetzen, um sich über Ideale auszutauschen, die nicht nur antifeministisch, queer- und transfeindlich, sondern auch rassistisch, antisemitisch und ableistisch sind, dann müssen wir gegen diese Stimmen laut werden! Denn jegliches Bestehen und Vernetzen der sogenannten „Lebensschutzszene“ ist ein aktiver Angriff auf die Selbstbestimmung unserer Körper und sozialer Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Wir dürfen nicht schweigen, wenn sich Menschen, wie heute in Kassel, aber gleichzeitig auch an so vielen anderen Orten, gegen reproduktive Gerechtigkeit aussprechen! 

Wenn wir von reproduktiver Gerechtigkeit sprechen, beziehen wir uns auf das Konzept der reproductive justice, welches maßgeblich von Schwarzen Feminist*innen ab 1994 in den USA erarbeitet wurde. Reproduktive Gerechtigkeit ist dabei vielschichtig. Sie meint nicht nur das Recht, kein Kind zu bekommen – mit Hilfe von Empfängnisverhütung, Abtreibung oder sexueller Abstinenz. Sie meint gleichzeitig auch das Recht unter selbstgewählten Bedingungen so viele Kinder zu bekommen, wie gewünscht – frei von antinatalistischen Bevölkerungspolitiken und Eugenik, die historisch und bis heute die Geburtenraten von marginalisierten Gruppen niedrig halten sollen.

Das bedeutet, dass wir im Rahmen der reproduktiven Gerechtigkeit einerseits den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und Gesundheitsleistungen für alle Menschen fordern, einschließlich derjenigen ohne legalen Aufenthaltsstatus und Bewohner*innen von Geflüchtetenheimen. Andererseits stehen wir für eine konsequente Abschaffung von Verhütungszwang, Zwangssterilisationen und Zwangsschwangerschaftsabbrüchen ein. Wir fordern ein Ende der Zwangsoperationen an inter* Kindern, ein Ende von Zwangssterilisationen an Menschen mit Behinderungen und fordern ein Recht auf Adoption von queeren Eltern und Menschen in alternativen Beziehungsmodellen.

Wir fordern, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag und Namen frei ändern können ohne diskriminierende Auflagen und langwierige Verfahren. Wir fordern ein sofortiges Selbstbestimmungsgesetz, in dem Forderungen von genderqueeren und trans* Personen verfestigt werden. Es wird Zeit, dass das seit 1980 bestehende verfassungswidrige sogenannte „Transsexuellengesetz“ durch einen neuen Entwurf abgelöst wird. Wie das aussehen kann, hat das Bündnis »Selbstbestimmung selbst gemacht« mit einem eigenen Gesetzesvorschlag bereits vorgemacht. Der Entwurf, den sie vorlegen, fußt auf dem Prinzip der Geschlechtsmündigkeit. „Die eigene geschlechtliche Identität einer Person [kann] prinzipiell nur von dieser Person selbst festgestellt und angegeben werden […]“, schreiben sie. Es wird Zeit, dass im Jahr 2024 endlich alle Menschen gleichermaßen über ihre Körper bestimmen können! 

Das gleiche gilt für den Paragraphen 218.  Reproduktive Gerechtigkeit beinhaltet auch die Forderung nach einer Legalisierung von Abtreibungen durch die Abschaffung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch sowie eine Entstigmatisierung von Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und Menschen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Wir fordern sichere und kostenfreie Zugänge zu Abtreibungen. Diese dürfen keine Frage des Geldes oder des Wohnortes sein. Wir fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche in die medizinische Ausbildung mit aufgenommen werden und flächendeckend zugänglich sind. Auch fordern wir, dass alle Menschen ihre Beziehungs- und Familienkonstellationen selbstbestimmt wählen können, frei von Diskriminierung und Stigmatisierung.

Doch unsere Forderungen dürfen nicht auf individueller Ebene bei der Frage nach Wahlmöglichkeiten aufhören. Staatliche und gesellschaftliche Strukturen müssen mitgedacht werden! Denn bei reproduktiver Gerechtigkeit geht es nicht nur um die Frage danach, ob wir Kinder bekommen oder nicht, sondern auch um die Forderung, Kinder frei von institutioneller, struktureller und interpersoneller Gewalt aufziehen zu können und zwar unter guten sozialen, gesundheitlichen und ökonomischen Bedingungen. Reproduktive Gerechtigkeit können wir also nicht von sozialer Gerechtigkeit trennen.

Deshalb fordern wir reproduktive Gerechtigkeit in seiner Vielschichtigkeit ausnahmslos für alle Menschen – unabhängig von Gender, Sexualität, Herkunft, sozio-ökonomischem Status, Be_hinderung und Alter. Damit sprechen wir uns explizit gegen das von den Lebensrechtgruppen propagierte Ideal aus, das ein hetero- und cis-normatives, konservatives und weißes Familienbild zeichnet. Dieses Ideal ist nicht nur sexistisch und queerfeindlich, sondern reproduziert Rassismen, die eine klare Nähe zu rechten Ideologien zeigen. Der seit Jahren zunehmende Rechtsruck verstärkt sich stetig. Das zeigt die rassistische Asylpolitik in der GEAS, die Deportationspläne der AfD und Rechten und das immer noch fehlende Aufarbeiten der rechten Gewalt hier in Kassel, in Hanau und in vielen weiteren Städten. Deshalb ist es wichtiger denn je, den Kampf um reproduktive Gerechtigkeit und Selbstbestimmung im Detail und den feministischen Kampf im Allgemeinen auch als antifaschistischen zu benennen. Der Kampf um körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Gerechtigkeit ist ein Kampf, der soziale Gerechtigkeit auf allen Ebenen und gleichsam für alle Menschen fordert. Es ist ein Kampf, den wir intersektional denken und führen müssen! 

Deshalb müssen wir laut sein, denn Reproduktive Gerechtigkeit ist nicht nur ein individuelles Recht, sondern muss kollektiv gedacht werden.

Staatliche Kontrolle und Gewalt sind real und besonders Schwarze Menschen, People of Color, illegalisierte Menschen, Menschen mit Be_hinderungen, Frauen und Queers sind ihr täglich ausgesetzt. Die Statistiken sind hier unmissverständlich: alle 12 Minuten wird ein Femizid verübt, die NSU-Morde und der Mordversuch an B. Efe sind nur ein Beispiel von zahllosen rassistisch motivierten Morden und auch der tödliche Übergriff auf Malte beim CSD 2022 ist kein Einzelfall! Gleichzeitig sind es Frauen und Queers, die in unserer Gesellschaft den Großteil der unentlohnten oder unterbezahlten Sorgearbeit leisten und dadurch im privaten sowie im öffentlichen Raum systematisch ausgenutzt werden. Wir müssen nicht nur für mehr Rechte in diesem ausbeuterischen, sexistischen und rassistischen System kämpfen. Sondern wir müssen über systematische Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeiten sprechen. Denn nur die Überwindung von Kapitalismus, weißer Vorherrschaft und Patriarchat kann die Grundlage für echte körperliche Selbstbestimmung sein. 

Was ist also unsere Antwort an die, die sich „Lebensschützer*innen“ nennen?

Wir machen euch die Hölle heiß! 

Denn in der Welt, in der wir leben wollen, gibt es keinen Feminismus ohne Antifaschismus!

Wir machen euch die Hölle heiß! 

Denn in der Welt, in der wir leben wollen, können alle Menschen frei über Körper, Geschlecht, Sexualität und Aufenhaltsstatus bestimmen!

Wir machen euch die Hölle heiß! 

Denn in der Welt, in der wir leben wollen, leben wir mit kollektiver Fürsorge, Unterstützung und Solidarität!

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